Changewashing?

von Andreas Steffen

Um den kürzlich spontan geprägten Begriff “Changewashing” © hiermit ordentlich zu copyrighten (oder copywriten), folgen hier & jetzt im Blog einige ebenso spontane Gedanken dazu. Garantie auf Vollständigkeit ist nicht gegeben, der Anspruch auf Objektivität ebensowenig. Kommentare sind herzlich erwünscht.

nur Fassade? Hauptsache “Change” steht drauf?

Die Assoziation zum sogenannten “Greenwashing” ist natürlich beabsichtigt. Mit “Changewashing” ist noch etwas mehr gemeint, als dem berühmt-berüchtigten alten Wein jetzt einfach mal ein hübsches neues Gewand zu verpassen und sich selbst toll darzustellen. Neue Schläuche können helfen, doch sollte man dabei nicht nur kurzfristig denken oder handeln – sonst steht man am Ende womöglich dumm da wie der Kaiser mit den (vermeintlich) neuen Kleidern.

Das Wort “Change” durfte man vor einigen Jahren schon gar nicht mehr verwenden. Mittlerweile heißt es eher “Transformation everywhere” – einfach ALLES befindet sich im Wandel. Und plötzlich ist auch Change gar nicht mehr so schlimm. Nicht als Wort – jedoch womöglich in der Wahrnehmung und Umsetzung. Weil es womöglich keine echte Veränderung gewesen ist, sondern nur oberflächliches “so tun als ob”.

Doch woher kommt diese Assoziation des Waschens beim Wandeln? Und geht es darum, permanent und parallel an einfach allen Stellschrauben zu drehen? Wie viel Veränderung verträgt eigentlich ein Mensch? Und eine Organisation aus vielen Menschen? Dürfen Fehler passieren – und falls ja, sollte man sich schnellstmöglich von ihnen reinwaschen?

Hier sind einige Ideen und Anmerkungen zu diesen Fragen.

Alles digital – und schon ist alles gut?

Nun beinhaltet und umfasst eine Veränderung weit mehr als “nur” Digitalisierung. Doch speziell in diesem Kontext, der früher mal EDV hieß, mit einem kleinen oder großen e/E am Wortanfang bestimmte Dinge wie eCommerce oder E-Government meinte und heute überall in sämtlichen Arbeitsbereichen zu finden ist, kann (besser: muss) man manch erstaunliche Beobachtungen machen.

An vielen Stellen heißt Transformation lediglich: “Wir machen alles digital!”. Wenn man dann – und das gilt bei weitem nicht nur für den Wandel in deutschen Amtsstuben oder bei altersschwachen Konzerndinosauriern – bisherige Prozesse aus Papier und vielen Formularen einfach 1:1 durch Nullen und Einsen, ein hübsches PDF, eine nette Website oder eine funky App ersetzt, dann hat man noch gar nichts gewonnen. Die erforderliche Optimierung und Innovation von Prozessen, Produkten und Services braucht natürlich sehr viel mehr.

Gleichzeitig scheint sich beispielsweise um die omnipräsente Künstliche Intelligenz eine neue Art von “Fear of missing out” (alias FOMO) einzuschleichen, die mancherorts zu hektischer Pro-forma-Überaktivität verkommt: “Wer derzeit nix mit KI macht, ist out!” So sieht es jedenfalls an vielen Stellen in ganz vielen Organisationen aus, die allesamt anscheinend unbedingt KI brauchen oder wollen. “Wir dürfen auf gar keinen Fall rückständig wirken! KI muss her! Sofort! Her damit! Auf Teufel komm raus (oder rein)!”

Ach, herrje, der Boden fehlt!

Die liebe KI ist eigentlich nur ein Platzhalter für viele andere Dinge, die zu haufenweise Change führen, der wie vorgeschobene Fassadenmalerei wirkt – und die Wahrnehmung von Changewashing erzeugt. Doch ist es manipulative Machenschaft oder Inkompetenz? Bei vielen angestrebten Veränderungen mittels digitaler Dinge sind nach meiner Beobachtung häufig die erforderlichen Basics schlichtweg nicht vorhanden. Eine grundlegende Transformationskompetenz wäre wichtig, ist allerdings meist Mangelware.

Das Bild mit Blick von außen ist dann ungefähr so: Man unterhält sich eifrig darüber, wo Large Language Models oder anderweitig kreativ-generative KI-Lösungen im ersten Obergeschoss zum Einsatz kommen, wie man Blockchain, Machine Learning & Co. ins zweite OG integriert, wann man das Metaverse im Dachgeschoss endlich aktiviert und welche weiteren Superapps oben auf dem Dach (oder besser gleich direkt in der Cloud) installiert werden – und hat leider das Fundament dieses “House of Change” bisher deutlich ignoriert. Ebenso oft auch die Menschen, die dieses Wandelhaus mit Leben füllen (sollen oder wollen). Die oft noch gar nicht wissen, was durch all die digitalen Dinge irgendwann besser wird.

Oder wird’s einfach nur anders?

Alles in einem Abwasch?

“Das Kind mit dem Bade ausschütten” – auch diese Redewendung hat ja durchaus etwas mit Waschen zu tun. Baden ist toll! Auch Abwaschen kann super sein! Doch alles zur selben Zeit verändern, bringt oftmals nicht nur Verbesserung. Manchmal sogar das Gegenteil.

Dass bei weitem nicht alle Menschen nicht sofort positiv auf Veränderung reagieren, haben wir in unserer Studie “Angst im Wandel” ausgiebig beleuchtet. Selbst wenn dadurch etwas tatsächlich nicht nur anders, sondern besser werden könnte, lehnen viele Menschen den Wandel ab – weil sie ja nicht wissen, ob es wirklich besser wird. Weil Veränderung oftmals Unklarheit oder Unsicherheit und die Notwendigkeit zum Verlassen der Komfortzone mit sich führt. Weil der Wunsch nach Veränderung auch gar nicht in unserer DNA verankert ist, ebensowenig in unserem Gehirn, das auf Unwissen unglücklich oder unfreundlich oder ablehnend reagiert, das viel lieber umfassende Planbarkeit und möglichst absolute Sicherheit mag.

Doch beides gibt es bei Change eben nicht.

Washed: Müdigkeit oder Mündigkeit?

Dass jemand “washed” ist, bedeutet im umgangssprachlichen Englisch, dass ein Mensch schon ziemlich “durch” ist. Am Ende angekommen, doch nicht unbedingt erfolgreich und zufrieden im Zielbereich, sondern eher fertig mit der Welt, müde und ausgebrannt.

Und genau das ist ebenfalls ein Teilaspekt, der ein Gefühl von Changewashing erzeugen oder beeinflussen kann. Keinesfalls muss immer der Umstand vorliegen, dass die Transformation nur eine Scheinaktivität ist, die niemand wirklich ernst gemeint hatte. Mindestens ebenso häufig habe ich in inzwischen mehr als 25 Arbeitsjahren beobachtet, dass auch das genaue Gegenteil zum gleichen Gefühl führen kann: Wenn nämlich mit – eigentlich – guter Absicht durch eine Art von Übermotivation viel zu viel Veränderung zur selben Zeit gemacht wird.

Wenn man – und wer genau ist “man” hier eigentlich? C-Level, Strategie-Stabsstelle, HR oder wer noch? – versucht, 17 Bälle auf einmal zu jonglieren, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein Ball oder mehrere auf den Boden fallen. Ständig, das macht meist wenig Spaß und bringt irgendwann Rückenschmerzen beim Aufheben. Wenn dabei nicht mit großer Agilität und ausgeprägtem Willen gelernt und gegengesteuert, nachjustiert und neujongliert wird, entstehen Frust und Müdigkeit.

Dann wird aus Veränderungsmündigkeit leider Veränderungsmüdigkeit. Klingt ähnlich, ist es nicht.

Böse Absicht?

Wenn man über echte Gesundheit – mental wie körperlich – und entsprechende Veränderung redet und dann betriebliches oder behördliches Gesundheitsmanagement lediglich mit einem Yogakurs verkauft, dann könnte man das durchaus “Changewashing” nennen. Dann gibt es keinen Rückenwind, keinen “Wind of Change”, sondern es fühlt sich einfach nur irgendwie windig an. Nicht echt, nicht ehrlich. Nicht richtig.

Wenn man von neuem Miteinander bei der Arbeit, von New Work, Purpose und ähnlichen Dingen spricht, von modern-zeitgemäßer Führung – und all das bloß Lippenbekenntnisse bleiben, obwohl die von der hippen Kommunikationsagentur erstellten neuen Prinzipen und Werte in wunderschönen goldenen Lettern an der Eingangstür prangen, hochglänzend in der Imagebroschüre und auf der Website stehen … ja, dann hat das Wort “Changewashing” wahrscheinlich eine Existenzberechtigung.

Beim ursprünglichen Greenwashing schwingt und klingt ja oftmals eine unlautere Absicht mit: der Versuch, sich sozusagen „reinzuwaschen“. Entweder von einem unerwünschten Image oder von schlechtem, falschem Verhalten, das man jetzt durch Augenwischerei alias cleveres Marketing oder eine Art von „Ablasshandel“ abzuschütteln oder abzudecken versucht.

Doch geht es bei als Changewashing wahrgenommenen Veränderungsprojekten wirklich stets darum, etwas vorzuspielen und vorzutäuschen, irgendjemanden „mundtot zu machen“ oder unerwünschte, nervige Kritik abzuwehren? Ist es immer das Ziel, nur ein hübsches Mäntelchen des vermeintlichen Wandels an die Wäscheleine zu hängen? Ist es bei einem (objektiv-realen oder subjektiv-empfundenen) Changewashing zweifellos das Ziel, die Welt, das Umfeld oder die Beschäftigten davon zu überzeugen, dass man ein wahnsinnig innovativer, veränderungsbereiter, moderner, fortschrittlicher Arbeitgeber ist (auch wenn oder weil dies nicht der Fall ist)?

Meine These: Manches Mal kann etwas davon durchaus der Fall sein. Weitaus häufiger erscheint mir die Redewendung „Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht“ zutreffend. Gelegentlich wird auch – durch Unwillen, Unwissen oder eine Kombination aus beidem – an den falschen Stellen gespart:

  • An der Bereitschaft, sich wirklich konsequent „pro Change“ zu positionieren. (Und das muss nicht immer nur für „die da ganz oben“ gelten.)

  • An der Bereitschaft, wirklich ALLE erforderlichen Ressourcen für eine wirklich erfolgreiche, wirkungsvolle Veränderung bereitzustellen.

  • An der Bereitschaft oder Fähigkeit, sich vorher ausreichend Gedanken darüber zu machen, was genau eigentlich „Erfolg“ im spezifischen Kontext bedeutet, welche Wirkung (Output, Outcome oder Impact) durch den Wandel angestrebt wird – und realistisch ist.

  • An der strategischen Anstrengung, eine wichtige Transformation wirklich umfassend („systemisch-ganzheitlich“) zu betrachten und übergreifend mit Geduld, ausreichender Ausdauer und nachhaltigem Engagement zu orchestrieren.

Und dahinter steht nach meiner ganz persönlichen Wahrnehmung keinesfalls immer eine böse Absicht. Auch sind Knauserei bzgl. Zeit oder Geld zwar oft, jedoch nicht stets der Fall. Manchmal sind fehlende Erfahrung im Umgang mit Veränderung, vielleicht Angst vor nicht vollständig kalkulierbaren Risiken durch die Veränderung oder blinde Flecken hinsichtlich verschiedener der oben genannten Erfolgsfaktoren von gelingender Veränderung die Ursachen.

Bedarf für Veränderung zwar erkannt, bei der Umsetzung allerdings halbherzig, blindlings oder unerfahren vorgegangen: Auch das können Gründe sein, die ein Gefühl von Changewashing hervorrufen. Und genau das zählt: Emotionen und Gefühle, Frust oder Lust. Frust durch falschen, falsch verstanden, falsch gemachten oder falsch kommunizierten Change – oder stattdessen Lust auf echte, ehrliche, ebenso ernst gemeinte wie engagiert umgesetzte Veränderung.

„Wir tun mal so, als ob …“

Doch vielleicht bin ich auch naiv. Vielleicht sind es viel öfter finstere, fiese, falsche Absichten, die hinter vermeintlichen Veränderungsaktivitäten stecken. Allerdings will ich’s nicht glauben. Deutlich mehr möchte ich auch weiterhin davon ausgehen, dass die Absichten grundsätzlich gut sind. Zumindest gut gemeint.

Und dazu zähle ich für mich selbst erstaunlicherweise auch die vielen großen, teils riesengroßen Beratungshäuser, die mit Horden von Juniors, Berater:innen, Partnern & Co. Millionenumsätze machen mit dem zumeist maximal halbgaren Wandel. Das ist eben deren Geschäftsmodell, auf das sich viele Auftraggeber einlassen. Nicht böse gemeint.

Halbwegs gut gemeint, ganz sicher nicht gut gemacht – es geht auch anders, nämlich besser

Ganz entscheidend erscheint mir mit Blick auf die oben als Bulletpoints genannten Aspekte des Sparens an den falschen Stellen, dass Change verstanden und vor allem: gewollt wird. Dass man selbst – auf allen Ebenen einer Organisation, jedoch vor allem ganz weit oben – die (zu definierende) Veränderung wirklich will. Dass man sie nicht einfach so nebenbei macht oder irgendwie geschehen lässt.

Genau dieser schale Change-Cocktail als Mix aus Laissez-faire mit leichter „Mir doch egal“-Geschmacksnote plus einer Portion Fahrlässigkeit ist nach meiner persönlichen Beobachtung der direkte Weg dorthin, dass eine Transformation lediglich als Changewashing wahrgenommen wird. Das Ergebnis? „Change“ ist hinterher als Wort, als Thema, als Gefühl bald verbrannt oder hat zumindest einen ziemlichen schlechten Beigeschmack. Lust auf weiteren Wandel? Ach nee, lass mal. Wird doch wieder nix.

Ob dadurch etwas gewaschen wird? Ich weiß es nicht. Gleichwohl weiß ich, dass es anders gehen, dass Veränderung gelingen kann. Wenn man an den richtigen Stellen, auf die richtige Weise in die eigene Zukunft investiert. Und die Veränderung ernst meint und ehrlich macht.

Wenn schon, dann bitte richtig!

Mal eben so nebenbei transformieren? Das geht nicht. Oder doch: nämlich meist daneben. Oder in die Hose. Und das muss bitte nicht sein. Denn genau solch eine dann dreckige Hose lädt sonst womöglich zu einem unnötigen Waschvorgang ein, der gar nicht erforderlich gewesen wäre, wenn man’s vernünftig, anständig, clever macht.

Denn für solch ein nachträgliches Reinwaschen muss man meist mehr investieren (Zeit, Geld, Energie, Nerven), als hätte man den Change gleich von Anfang an richtig gemacht und die Veränderung ernst genommen. Hinterher fürs rein oberflächliche Aufräumen, für das äußerliche Aufpolieren lediglich halbgarer Ergebnisse oder das Überschminken von Schrammen und Narben nochmal tief ins Portemonnaie greifen?

Nee, muss nicht sein. Wenn man rund um die Veränderung ein paar Dinge richtig macht – und einige “echte Klassiker” möglichst vermeidet, von denen eine Auswahl hier kurz angerissen ist.

“Den meisten Mitarbeitenden sind die Ziele nicht klar”?

Nun gut, leicht zynisch könnte man hierzu behaupten, dass sie sich damit ganz wunderbar auf Augenhöhe mit vielen Führungskräften befinden – denen häufig die Ziele ebenso wenig klar sind. Wenn ich als Führungskraft eher Manager als Leader bin, wenn mich “dieser erneute Wandel” rein gar nicht interessiert, weil ich doch managen muss, wenn ich keinerlei Interesse habe, unbekanntes Land zu betreten, wenn meine Fähigkeiten des Kommunizierens (wozu übrigens auch Fragen und Zuhören gehören) eher überschaubar sind, dann ist es klar, dass nur wenig klar wird.

“Professioneller Changemanager”?

Früher (alias “damals in der guten alten Zeit”) hatte der Begriff Changemanagement noch eine etwas andere, einfachere Bedeutung. Da ging es weitaus weniger um all diese nebulösen, weichen Faktoren, dieses ganze unpräzise Menschliche und womöglich auch um nur unzulänglich planbare Emotionen und Gefühle!

Früher, da hatte ordentliches Changemanagement noch mit Zahlen, Daten, Fakten zu tun. Da verstand man darunter so etwas Schönes und eindeutig Messbares wie “Versionskontrolle” von Dokumenten oder Quellcode. Da hat man noch anständig und ordentlich dokumentiert, wie sich Software-Version 97-3B von Software-Version 97-3C unterscheidet, welche Veränderungen seitdem vorgenommen wurden, wer sie wann gemacht hat. Ach, das waren noch Zeiten!

Doch heute? Da soll ich mich als Changemanager mit Organisationsdesign und Verhaltenspsychologie herumschlagen? Design, wie bitte? Sind wir denn hier im Möbelladen oder irgendeiner Boutique? Und Psychologie? Echt jetzt? Die sollen doch bitte zum Therapeuten gehen, wenn sie ein Problem haben! Oder in die Personalabteilung, zu HR, die sollen das regeln. Ist schließlich nicht mein Job, mich mit so etwas herumzuschlagen. Hätte ich Designer werden wollen, wäre ich’s doch geworden. Oder hätte diese Psychosachen von Freud und Konsorten studiert. Hallo??? Ich bin schließlich Manager! Und überhaupt: Wo soll ich mir denn die Zeit hernehmen, um neben all den wichtigen Themen aus dem Tagesgeschäft auch noch diesen Transformationsquatsch zu koordinieren? Außerdem weiß man doch, dass dieser Change sowieso nicht funktioniert. Naja, da lassen wir einfach mal die ganzen Unzufriedenen ran und stellen ihnen noch ein, zwei, drei Psychologie- oder Soziologie-Student:innen an die Seite. Dann hören die auf zu murren und zu meckern. Sind erstmal ruhig gestellt. Und wenn was schief geht: Deren Problem, nicht meins. Zur Not muss man das dann einfach hinterher gut verkleiden, verpacken, verkaufen und vermarkten. Doch jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Also, an die richtige Arbeit. Ohne all den albernen Change.

Herrje, solche Sätze auch nur aufzuschreiben, tut schon weh. Ein wenig von solch einer Haltung habe ich durchaus schon erlebt und beobachtet. Und dennoch bleibe ich dabei: Die Mehrheit der scheiternden Changeprojekte fährt nicht mit böser Absicht gegen die Wand. Statt Unwille sind Unfähigkeit oder Unwissen die Ursache.

“Eine Überlebensfrage”?

Allerdings ist es, wenn man die These vom guten alten Charles Darwin betrachtet, hinterher vielleicht schon wurscht, aus welchem Grund eine Veränderung nicht funktioniert hat, wenn sie zum Aussterben geführt hat.

Achtung, jetzt wird’s kurz morbide: In solch einem Fall, wenn das Vermeiden, Verweigern oder Ignorieren von (lebens-)notwendiger Veränderung zum Exitus geführt hat, wenn man als organisationaler Dinosaurier aufgrund der Devise “No Change!” ausgestorben ist, dann ist hinterher ein Hübschmachen des entstandenen Schadens leider nur noch dies: Leichenwäsche.

Und das ist zwar ein ehrenwerter Beruf – jedoch bitte kein Thema für eine Organisation, die einigermaßen zukunftsfähig sein und auch morgen und übermorgen noch existieren möchte. Nichtstun schönzureden, Ignoranz nett zu verpacken, Verweigerung in neue Schläuche und schicke Kleider zu stecken? Kann man machen. Wenn man den Laden möglichst schnell gegen die Wand fahren oder in die gut gekühlte Leichenhalle befördern will. Exitus oder Existenz?

Man hat die Wahl.

Genau jetzt, kurz vor dem Ende dieses Artikels, beschleicht mich eine innere Stimme, dass hier noch kluge Patentrezepte genannt werden sollten – nein: müssen! –, damit der Beitrag richtig rund und wirkungsvoll und wertvoll ist. Allerdings antworte ich mir sogleich selbst: Nix da, nix muss. Kein Anspruch auf Vollständigkeit, außerdem sind Patentrezepte nur sehr selten clever. Doch vielleicht sind durch die oben genannten Gedanken schon ein, zwei Ansätze dabei, wie Changewashing vermieden, wie es vielleicht anders, differenzierter betrachtet werden kann. Und dennoch wollen drei Dinge nochmal formuliert werden. Hier sind sie:

Strategisch koordiniert

Das muss sein. Punkt.

Alle am selben Strang ziehen? Bitte nicht! Wie jetzt, bitte nicht? Ja, genau. Denn solch ein Change, der hat eben nicht nur eine einzige Dimension. (Sonst würde es wohl mit den allseits beliebten, so oft geforderten Patentrezepten klappen.) Dabei gibt es viele und ganz unterschiedliche und sehr diverse Stränge, an denen auch nicht immer zur selben Zeit gezogen werden muss. (Hierzu sei die jüngste wissenschaftliche Erkenntnis aus der Botanik vermeldet: Studien zeigen, dass das Gras nur erstaunlich selten schneller wächst, wenn man heftig dran zieht.)

Doch in dieselbe oder zumindest ähnliche Richtung zu ziehen, das ist clever!

Achtung: Jetzt sind kurzfristig Fantasie und Vorstellungsvermögen gefragt:

Man stelle sich vor, sämtliche Bereiche einer Organisation würden gemeinschaftlich etwas bewegen – in die gleiche Richtung. Und dabei so richtig echt und ehrlich miteinander kooperieren. Also kein “Tauziehen der Silos”, kein Wettbewerb der Abteilungen oder Egos. Geht das? Oder reicht die Fantasie dafür nicht aus? Bitte nicht aufgeben! Doch, doch: Das geht. Wirklich.

Wenn man den Unterschied und gleichzeitigen Zusammenhang solcher Begriffe wie Vision und Mission versteht und sie definiert. Wenn man – erst dann – daraus Ziele ableitet, die eine Nähe zur Realität aufweisen und gleichzeitig attraktiv, positiv belegt sind und auch noch auf adäquate Weise kommuniziert werden, transparent und kompetent erklärt werden, damit sie verstanden, akzeptiert, gewollt und angestrebt werden. Wenn man zwecks Zielerreichung ausreichend Zeit, Energie und Hirnschmalz in eine kluge Strategie investiert, um vom Heute zum zukünftigen Morgen zu gelangen. Wenn man diesen Weg des Wandels mit erforderlich vielen Meilensteinen pflastert, um sich zwischendurch auch mal auszuruhen und um die Möglichkeit zum Nachdenken und Nachjustieren zu haben. Wenn man eine individuell passende Form des agilen Fortschreitens gefunden hat, so dass man Tempo, Schrittlänge & Co. auch ans Gelände und die (sich mysteriöserweise ebenfalls verändernden) Umstände anpassen kann. Wenn man genau dadurch wie auch aufgrund einer offenen, lernwilligen, zukunfts- und veränderungsfreudigen Haltung und dafür rechtzeitig und ausreichend eingeplanter Ressourcen regelmäßig bereit ist, zurückzuschauen (auch bekannt als Review & Retrospektive), um aus dem Gestern für das Morgen zu Lernen.

Dazu braucht es neben kluger Strategie auch eine clevere Taktik, also taktische Alternativen alias Handlungsoptionen und die Fähigkeit, den Bedarf zum Verändern des Vorgehens zu erkennen. Um Missverständnisse zu vermeiden: Damit sind nicht die oft etablierten und beliebten “taktischen Spielchen” gemeint. Genau solche politischen, meist narzisstisch-egozentrisch geprägten Spielereien sind leider ein “guter” Nährboden, aus dem der Bedarf für Changewashing erwächst.

Und das muss bitte nicht sein.

Mitmachen statt Mitnehmen

Leider hört man es bei viel zu vielen Changeprojekten viel zu oft: “Wir müssen die Betroffenen mitnehmen!” Was womöglich gut gemeint ist, enthält jedoch leider gleich zwei gravierende Denkfehler:

(1) Betroffene? Die gibt es bei Krisen und Naturkatastrophen. Oder im Trauerfall. Doch bei einer Transformation, da gibt es Beteiligte. Also Menschen, die bitte beteiligt werden, die sich meist auch beteiligen wollen – wenn sie es können.

(2) Kein Bus-, Bahn-oder Taxiunternehmen: Es gibt bei einem Veränderungsvorhaben nicht den einen, einzigen Fahrer, Kutscher oder Lo(c)kführer (m/w/d), der alles stemmt und alleinverantwortlich steuert. Es geht nicht darum, die Betroffenen von A nach B zu kutschieren. Wie eine Fracht, die man am Zielort abliefert. (Und nur sehr selten findet man für den Weg des Wandels ein perfektes, automatisiertes Navigationsgerät.) Das eigenständige, selbständige und bestmöglich auch eigen- oder zumindest mitverantwortliche Laufen der beteiligten Menschen auf den eigenen Füßen ist von entscheidender Bedeutung, damit der Wandel Akzeptanz erfährt und Wirkung zeigt. Wer lediglich mitgenommen wird, fühlt sich sonst recht mitgenommen. Und das erzeugt Unzufriedenheit. Und das wiederum führt regelmäßig zum panisch-aktionistischen Changewashing, um Frust und fehlenden Impact hinterher schönzureden und vermeintlich hübsch zu verpacken.

Auch das muss bitte nicht sein. Ja, es geht anders, besser.

Mut und Ehrlichkeit, Transparenz und Kompetenz

Wenn wirklich allen klar ist, dass eine Veränderung nicht immer einhundertprozentig planbar ist, dass sie trotzdem klug geplant werden will, dass man dabei Stolpern oder Scheitern kann (wird), dass dabei – garantiert – Fehler passieren, dass man diese Fehler als Misserfolge deuten und verschleiern oder stattdessen zum Lernen nutzen kann, dass das Gegenteil von Angst (die bei Veränderung immer eine Rolle spielen wird) nicht vollkommene Sicherheit, sondern Toleranz für Risiken bedeutet, wenn man mit all dem offen und transparent umgeht … ja, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass man hinterher über Changewashing auch nur ansatzweise nachdenken muss. Denn dann hat man die Chance für erfolgreichen Change deutlich gesteigert.

All das anzugehen und umzusetzen, ist nicht leicht. Dafür braucht es neben Mut und Ehrlichkeit auch viele Kompetenzen, die in vielen Organisationen bei vielen Menschen nicht zum Lehrplan ihrer Berufsausbildung oder zum Curriculum ihres Studiums gehörten. Die von den wenigsten Menschen in der Schule gelernt wurden. Dafür braucht es die Bereitschaft, solche Transformationskompetenzen aufzubauen. Dafür muss der Bedarf für diese Kompetenzen erkannt und benannt werden. Dafür braucht es Angebote, um diese Kompetenzen zu erwerben, um sie anzuwenden.

Das geht. Echt jetzt.

Dann klappt’s auch ohne Changewashing.

Dann klappt es nämlich mit dem echten Change.




So, das war’s für heute. Möge sich der Begriff des Changewashings gar nicht erst etablieren. Weil viel mehr Veränderungsprojekte von Beginn an ernst gemeint, ehrlich angegangen und engagiert durchgeführt werden. Das wäre jedenfalls wirklich schön und wünschenswert. Und wirkungsvoll.

 

liebe Lesende: Was geht Ihnen/Euch bei “Changewashing” sonst noch alles durch den Kopf?

Kommentare sind hier oder via Kontaktformular oder auf allen anderen Kanälen sehr willkommen! Damit es möglichst wenig “blödes Washing”, sondern sehr viel mehr guten Change und gelungene Transformation gibt.