Mein Gehirn und ich – wer hat das Sagen?
Viele Gedanken und einige Erfahrungen, die zu Achtsamkeit geführt haben – von Andreas Steffen
Kuck mal, wer da spricht
Mein Gehirn hat früher ein massives und mitunter sehr aktives Eigenleben geführt. Hochsensibilität? Ganz sicher. Hyperaktivität? Aber sowas von.
Psychologisches Grundwissen zu diesen und weiteren Dingen war schon früh vorhanden. Neurowissenschaftliches Halb- oder vielleicht eher: Viertelwissen gesellte sich später dazu. Ich konnte mir bereits in jungen Jahren beim Denken zusehen. Allerdings oft nur wie ein passiver Beobachter.
Es gab Zeiten, da war das grandios – beispielsweise beim Sport, wenn ich meinen persönlichen Kommentator, Analysten, Coach & Strategieberater in Personalunion als freundliche Stimme (manchmal: Stimmen) im Kopf hatte.
Doch da waren auch Zeiten, leider durchaus längere Zeiten, in denen das sehr anstrengend war. Burn-out und Depression mit Ende 20 und Mitte 30? Das war definitiv kein Vergnügen.
Dagegen anzukämpfen, ist anstrengend gewesen. Und auch wenn ich beim Sport körperlich ziemlich belastbar und (gelegentlich wohl auch etwas zu sehr) schmerztolerant war, bin ich jenseits von Sportplatz & Spielfeld damals an meine geistigen und seelischen Grenzen und manchmal darüber hinaus gekommen.
Lost
Als das viele angelesene und antrainierte Wissen hatte ich zwar im Kopf – doch genau dort führte es eben auch ein munteres Eigenleben, war mitunter kaum steuerbar und nahm in manchen Situationen das Ruder ziemlich ungefragt selbst in die Hand.
Vielleicht war es sogar des vermeintlich Guten eine Portion zu viel: Dank der Sendungsfreudigkeit meines Vaters hatte meine Coaching-Ausbildung (ungefragt) schon mit elf, zwölf Jahren angefangen. Von psychologischer Fachliteratur, etlichen Sachbüchern und Ratgebern über Selbstverantwortung & Co. bis zu Tests zur Persönlichkeitsdiagnostik wie MBTI und 16PF war ganz viel dabei.
Daher, zum Teil auch über sportliche Aspekte wie „mentales Training“ und aus anderen Quellen (Bücher, Freunde im Psychologiestudium etc.), stammte einiges an Wissen, das zu viel, sehr viel und oft auch viel zu viel Nachdenken, Hinterfragen und Grübelei führte – und genau das nahm in solchen Phasen überhand.
Mein Kopf war kaum noch still, das Wissen und die Gedanken liefen manchmal wie auf Red Bull plus Amphetamin – auch wenn nix davon in meinem System war. Teilweise fühlte es sich an, als würde ich in einem autonom agierenden Fahrzeug sitzen – nicht am Steuer, eher als überforderter Beifahrer hilflos daneben. Lustig war das nicht.
Klick
Für Zen, Meditation und solche Sachen hatte ich mich über das Karate-Training bereits in jungen Teenagerjahren interessiert, Entspannungsübungen wie Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training kannte und konnte ich schon lang – aber der Kopf? Der war oft vollkommen unbeeindruckt davon und machte sein eigenes Ding.
Es brauchte bei mir erst bis Anfang 40, bis ein entscheidender Punkt erreicht war: Das vollständige „Durchsacken“.
Im Rahmen einer für mich sehr prägenden Coaching-Ausbildung machte es „Klick!“ – in einer Form, die Kopf und Körper, Wissen und echtes Verstehen miteinander verbunden hat. Erleuchtung? Ganz sicher nicht. Jedoch eine Form des Verstehens mit mehr als nur dem Gehirn, die anscheinend nicht mehr verschwindet.
Wer ist hier der Boss?
Was dabei entstand? Man kann es vielleicht „Achtsamkeit in Anwendung“ nennen. Vielleicht? Ja, weil das Wort „Achtsamkeit” schon ziemlich strapaziert ist durch halbgare Ratgeber und seltsame Influencer. (Mehr dazu ganz unten im Link über Millionäre.)
Was es für mich bedeutet:
Vor allem, der Chef in meinem eigenen Kopfkino zu sein. Der Regisseur, der dort oben die Richtung vorgibt und bestimmt – nachdem er sich von seinem Team alle Vorschläge & Anregungen angehört und auf dieser Basis dann entschieden hat. Der Headcoach, der die Strategie kennt, sich intensiv mit seinem Coaching Staff abstimmt und im Spiel die Taktik bestimmt. Dirigent, Präsident, Bundeskanzler im mentalen Parlament: die Metaphern & Analogien sind vielfältig – entscheidend ist die Wirkung.
„Impulskontrolle“? Dieses Wort mag ich nicht so richtig. Das klingt für mich eher nach Vermeidung, Verdrängung oder Unterdrückung. Für mich selbst ging und geht es eher darum, zunächst gut zuzuhören – dem inneren Senat, dem Affenzirkus, meinem mentalen Stab aus Beraterinnen und Beratern. Kurz gesagt: meinem Inneren Team.
Denn genau darum geht es. Erst als ich wirklich mit dem Kopf und auch mit dem Herzen verstanden hatte, dass sogar die vermeintlich düsteren oder echt doofen Stimmen, ebenso diejenigen mit der zu grellen Klangfarbe oder nervigen Tonlage, also auch die, die sich zu vollkommen ungewollten und unwillkommenen Zeiten meldeten … dass alle von ihnen zu mir gehörten, dass sie mir ausnahmslos nur Gutes wollten. (Selbst wenn sie sich dabei gelegentlich echt seltsam ausdrückten.)
Wenn … ja, wenn ich wirklich bereit war, ihnen richtig zuzuhören. Ihnen Gehör und meine volle, echte, achtsame Aufmerksamkeit zu geben.
Das A-Team
Beim Basketball hatte Teamplay schon früh gut funktioniert. Im Studium habe ich Expertensysteme sehr gemocht und kapiert. Doch um mein eigenes, kopfinternes Expertenteam wirklich zu verstehen, mit den Teammitgliedern (und dadurch mit mir selbst) gut umzugehen, musste ich erst die 40 überschreiten und einige gar nicht lustige Erfahrungen mit mir selbst machen.
Heute, mit 5STEP, ist es oftmals unsere eigentliche („heimliche”) Aufgabe rund um Strategie, OE, Transformation & Co., dass die vielfältigen Menschen in den Organisationen vor allem die Diversität im eigenen Kopf verstehen und sie klug nutzen – um (häufig wirklich erst dann) gemeinschaftlich als „Gesamtsystem”, als Team aus Teams gut zu inter-agieren.
Es geht nicht darum, immer mehr auszuhalten, eigene Grenzen permanent auszudehnen oder sie zu überschreiten, sondern um weniger „Stress von außen und innen“ (durch einen klügeren und gesünderen Umgang damit) und mehr dynamische Balance – vor allem in sich selbst. Und um das Verständnis in Kopf, Körper, Geist und Herz, welche Rahmenbedingungen es dafür individuell braucht.
Im Grunde ist Achtsamkeit eine Reise des Selbstcoachings. Niemand nimmt einem das eigene Gepäck ab – allerdings kann man lernen, leichter zu packen und den Weg selbstbestimmt zu gehen.
Hör mal, wer da hämmert (Home Improvement)
Coaching wird in Unternehmen, Instituten und Behörden oft nur für Führungskräfte angeboten. Viele von ihnen können gutes, professionelles Coaching auch gut gebrauchen. Denn es geht in vielen Berufs- und Lebenslagen vor allem um Selbstführung, um den klugen, gesunden und ganz individuell passenden Umgang mit sich selbst – mit dem Inneren Team, mit Glaubenssätzen und Antreibern.
Und genau die, diese inneren Stimmen, Impulse, Signale, Gedanken, Gefühle und Emotionen kann man nur dann gut und ausreichend wahrnehmen, mit ihnen klug umgehen „als Chef/in im eigenen Ring“, wenn man wirklich voll im Hier & Jetzt ist.
Das ist Achtsamkeit.
... und das sollte kein „Privileg für die oberen Etagen“ sein. Davon können auch alle anderen Menschen profitieren.
Zurück in die Zukunft
Verschiedene Gedanken, Methoden und Werkzeuge habe ich vor einigen Jahren aufgeschrieben. Daraus ist ein Buch entstanden, das keine „Selbsthilfe auf Knopfdruck“ darstellt. Man liest es nicht – und hat dann auf der letzten Seite plötzlich „alles im Griff“. Neben dem Lesen gehören das Anwenden, das kritische Hinterfragen, Selbstdisziplin und konsequentes Dranbleiben elementar dazu.
Welches Werkzeug passt wann & wie für mich? Was will mir die innere Stimme X sagen, wenn sie sich (laut oder leise) in der Situation Y meldet? Wie gelingt mir innere Führung in Kombination mit Selbstfürsorge und Selbstmitgefühl? Und wie bemerke und lerne ich, was mir überhaupt gut tut – und was auch nicht? Wie löse ich mich von hinderlichen oder einschränkenden Glaubenssätzen? Und welche trage ich eigentlich mit mir herum? Wie behalte ich zukünftig die Kontrolle über meine Gedanken und Emotionen – ohne, dass ich dadurch zum „Kontroletti“ werde? Wann heißt es auch, Kontrolle abzugeben?
Für all solche Fragen gibt es Antworten. Finden wird man sie allerdings nur dann, wenn man wirklich achtsam ist.
Memento, Total Recall & High Fidelity
Wer achtsam war und aufmerksam die Kapitelüberschriften gelesen hat, wird festgestellt haben, dass es sich dabei um Titel von Kinofilmen und Fernsehserien aus den 1980er bis Frühren 2000er Jahren handelt. Für mich persönlich ist das eine Reminiszenz an vergangene Zeiten, die ich zum Teil erst spät verstanden habe – und heute im recht aufgeräumten Rückspiegel wertschätzen kann.
Das Schöne an solchen Rückblicken – egal in welchem Alter: Unser liebes Gehirn bleibt lebenslang lern- und wandlungsfähig, das nennt sich Neuroplastizität. Es ist also nie zu spät, an sich zu arbeiten, das Gehirn zu trainieren, anders und besser mit sich selbst und dem internen Team umzugehen und neue Wege im eigenen Kopf zu bahnen – wenn man es will.
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Unser Angebot hierzu – nicht nur für Führungskräfte: 5STEP.org/coaching
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➡️ Hier ist das oben angesprochene Buch „Impulse zur eigenen Veränderung“ (2019) mit einigen der handgemalten Illustrationen:
Noch mehr zum Lesen gibt es hier im Blog, in unseren Business Novels und bei unseren Publikationen.
… vielleicht auch noch lesenswert vom selben Autor sind diese beiden Blogartikel:
Human Doing or Human Being? (2019)
https://wenigerundmehr.de/coachblog/mindfulnessMit Achtsamkeit zum Millionär! (2020)
https://wenigerundmehr.de/coachblog/achtsamkeitsmillion